Den Rollstuhl bewegen, den Luftballon treffen und in die richtige Richtung fliegen lassen – hier ist Koordination gefragt.
Kiel. Die Stimmung ist herzlich, und das nicht nur, weil Shamal Ismail, einer der Übungsleiter der Rollisprotten, heute anlässlich seines Geburtstages leckere Süßigkeiten verteilt. Gut 30 Jahre gibt es die Gruppe Rollstuhlsport beim TuS Hasseldieksdamm-Mettenhof, seit vier Jahren nennen sich die etwa 20 Aktiven „Rollisprotten“. Für manche von ihnen ist der Termin am Mittwoch das Highlight der Woche.
Bodo Günther, der seit einem Motorradunfall im Rollstuhl sitzt, ist als Sportler schon 15 Jahre dabei. Vor sechs Jahren, als sich die Gruppe wegen Trainermangels aufzulösen drohte, ließ er sich gemeinsam mit seiner Frau zum Übungsleiter Reha-Sport Neurologie ausbilden, um weiterhin Sport für Menschen mit Spina bifida, Kinderlähmung, Schlaganfall, Cerebralparese, multipler Sklerose, Amputationen oder Querschnittslähmung anbieten zu können. Fürs Training am Mittwoch setzt „Fußgängerin“ Sabine Müller-Günther sich in den Rollstuhl, wie übrigens auch andere Begleiter der Rollifahrer, die lieber mitmachen als vom Hallenrand aus zuzuschauen.
„Wir wollen inklusiv sein“, lädt sie auch Nichtbehinderte ein, „das heißt: Alle dürfen bei uns mittrainieren, Reserve-Rollstühle sind vorhanden. Dass auch Fußgänger mitmachen, spornt an.
Die verschiedenen Niveaus sind nicht störend, sondern bereichernd.“
ADAC-Spiel oder Runden fahren, erst vorwärts, dann rückwärts – das Training beginnt mit dem Warm-up. Anschließend bilden alle einen großen Kreis für die Gymnastik, dehnen und strecken sich, gleichzeitig Gelegenheit, sich kurz auszutauschen. „Danach spielen wir“, so Sabine Müller-Günther, „Boccia, Brenn- oder Rollball. Besonders beliebt ist Basketball. Jeder Korb wird hier gefeiert.“ Heute geht es zum Tischtennis mit Brettchen an den Tisch und zum Luftballon-Volleyball an die Schnur. Beide Disziplinen stammen aus Japan, wo der Reha-Sport insgesamt viel entwickelter sei, erklärt Bodo Günther. Unabhängig von der Art und Schwere der Behinderung sei es sinnvoll, die Motorik zu üben.
Aber gemeinsam Sport zu treiben, der Gruppenzusammenhalt, die soziale Komponente sei für die Rollisprotten das Wichtigste. „Mitmachen bedeutet, Spaß und Abwechslung zu haben. Wir arbeiten überhaupt nicht leistungsorientiert, sondern spielerisch. Und trotzdem zählt hier für jeden auch der persönliche Erfolg.
Die Möglichkeiten der Teilnehmer sind ganz unterschiedlich, einige wollen sich richtig auspowern, anderen ist das gar nicht möglich – wir versuchen, allen gerecht zu werden“, erklärt Sabine Müller-Günther.
Dieses Jahr wollen die Rollisprotten wieder am Stadtteilfest in Mettenhof teilnehmen. Mit einem Parcours und Rollstühlen, jeder dürfe sich ausprobieren. Erfahrungsgemäß stünden die Kinder und Jugendlichen Schlange, die meisten Erwachsenen haben Berührungsängste. Und vielleicht geht es auch zum Tag des Sports, denn, so Sabine Müller-Günther: „Wir wollen uns nicht verstecken, sondern zeigen: Es gibt uns.“ kib
Die Rollisprotten trainieren mittwochs von 18 bis 20 Uhr in der Sporthalle 2 des Bildungszentrums Mettenhof, Vaasastraße 43. Weitere Informationen bei Florian Hebbel, Tel. 0174-5152189 oder Bodo Günther, Tel. 04340-1046.
Erschienen am 23. MÄRZ 2018 im Kieler Express, Text: Kirsten Böttcher